Und Moria ist abgebrannt.


Am Abend des 8.. September bekomme ich bereits Nachrichten, dass es in Moria zu Protesten gekommen ist. Eine Woche zuvor wurde es unter Quarantäne gestellt, da nach langer Zeit des schon darauf Wartens und dennoch Hoffens dass es daran vorbei geht doch der erste Corona Fall bestätigt wurde. Angst, Verzweiflung und Wut wurden dadurch noch mehr geschürt.
Ich gehe in dieser Nacht ziemlich spät ins Bett und kurz vorm Schlafen gehen bekomme ich noch die Nachricht dass mehrere Feuer im Camp ausgebrochen sind. Ich kann es gar nicht richtig fassen, kann in diesem Moment auch noch nicht die Tragweite dessen einschätzen, schicke ein inbrünstiges Stoßgebet zum Himmel und schlafe dann ein.

Am nächsten Morgen wache ich auf mit Bildern und Videos auf meinem Handy von einem zu großen Teilen niedergebrannten Moria.

Noch nicht komplett wach, kann ich es noch gar nicht richtig begreifen, weiß nicht was ich denken und fühlen und vor allem was ich tun soll.

Denn ich befinde mich in diesem Moment nicht 5 Autominuten entfernt vom Camp, sondern im Gästebett meiner Schwester im schönen Odenwald. 

Nach fast 6 super intensiven Monaten auf Lesbos, die mich einiges an Kraft gekostet haben, bin ich nun für ein paar Wochen in heimatlichen Gefilden um aufzutanken, auszuspannen und eigentlich meinen Kopf mit anderen Dingen zu füllen. 

Doch vor allem in diesen Tagen ist mein Herz auf Lesbos. Und es fällt mir schwer meine Gedanken zu den Ereignissen dort, die ich zu großen Teilen auch nur aus den Medien mitbekomme, zu sortieren. 

 

Moria - der Ort den ich so sehr lieben und gleichzeitig hassen gelernt habe - gibt es nicht mehr.

In Flammen aufgegangen.

In Schutt und Asche liegend. 

 

Nicht viel ist geblieben von diesem Ort, von der "Hölle" Moria. 

Doch was bleibt sind die Menschen.

Die Schutzsuchenden. Die von Hoffnung gezogenen.

Die nun alles verloren haben. Erneut. 

 

Eine Reporterin vor Ort berichtet:

»Wir haben gedacht, es geht nicht schlimmer.

Das hier ist schlimmer.«

Ich habe die Situation noch nicht selbst gesehen, doch ich weiß dass es stimmt.

 

Schon öfter ertappte ich mich bei Gedanken wie "wenn ich an ihrer Stelle wäre, dann würde ich es auf jeden Fall so machen..."

Und jedes Mal musste ich dabei feststellen, dass ich eben nicht in ihrer Haut stecke, dass ich es nie ganz nachvollziehen werde, was es heißt in einem Flüchtlingscamp wirklich zu leben und nicht nur zu arbeiten. Nicht die Möglichkeit zu haben, abends wieder nach Hause gehen zu können. 

Und nun kann ich mir es noch weniger vorstellen, wie es ihnen ergeht und möchte mich auch gar nicht zu sehr in diese Gedanken hineinvertiefen, denn das würde mir zu sehr das Herz brechen. Ich schreibe das und denke mir innerlich, wie egoistisch von mir.

 

Ich kann es nicht nachvollziehen, was es heißt tatsächlich auf der Straße zu schlafen.

Keinen Zugang zu Sanitäranlagen zu haben.

Für Essen und Trinken in nun noch längeren Schlangen zu stehen, in denen jeder wirklich ums Überleben kämpft.

Sich so hilflos zu fühlen, keinen Ausweg zu sehen. So sehr in die Ecke gedrängt zu sein. 

 

In meinem Kopf sind zwei Stimmen.

Die eine sagt, dass ich so schnell wie möglich wieder nach Lesbos sollte, noch früher als geplant. Um an dem Ort zu sein, für den mein Herz so sehr schlägt, um den Menschen beistehen zu können, die ich nicht nur als Zahlen, als die Flüchtlinge sehe, sondern als Menschen, Individuen mit Hoffnungen, Träumen und Visionen. 

Doch die andere ist die vernünftigere Stimme, die überzeugt, ist dass ich noch ein wenig Ruhe brauche, noch mehr Kraft tanken sollte. Dass es gut ist, dass ich nicht vor Ort bin, dass ich es nicht verkraftet hätte all das direkt mitzubekommen.

 

Und letztendlich gewinnt die Vernunft. Eben weil ich diesen Ort, diese Menschen so sehr liebe, weiß ich dass ich Energie brauche um wieder dorthin zu gehen. An den Rand Europas. Wo die Welt gerade noch lauter schreit. Wo sich deutlich zeigt, dass die Flüchtlingsproblematik nicht einfach zu lösen ist. 

 

Hier in Deutschland kann ich es im Moment kaum ertragen die Nachrichtensendungen und vor allem politischen Diskussionen zu verfolgen.

Wie es nur um Zahlen geht. Größtenteils nur die eigenen Ziele verfolgt werden. Von Mitmenschlichkeit nur geredet wird, aber nicht wirklich gelebt.

 

Und auch wenn ich absolut nicht weiß, wie es nun weitergeht und wie sich alles weiterentwickeln wird, so weiß ich doch, dass Gott nicht überfordert oder überrascht ist von dieser Situation. Dass auch wenn meine Welt dadurch gerade Kopf steht, er dennoch derselbe liebende und versorgende Gott ist. Dass er alles zum Guten wenden kann, auch wenn es sich überhaupt nicht danach anfühlt und wir uns das menschlich gesehen nicht vorstellen können. 
Und selbst aus der Ferne kann ich sagen, dass Gott seine Hand über die ehemaligen Bewohner Morias hält und mich vor allem dazu aufruft zu beten. Alles vor ihn zu bringen. Neu zu erkennen, dass wir nichts unter Kontrolle haben. 

 

HERR erbarme dich! - So lauten zur Zeit meine meisten Gebete und Gott (er)hört sie, darauf vertraue ich!