Beauty in the ashes.

Ich zwänge mich zwischen kleinen Zelten und aus Paletten und Plane selbstgebauten Wohnheiten hindurch, die sich neben den ehemaligen Gefängnisräumen befinden, welche im Camp nun zu den luxuriösesten Unterkünften zählen.

Ich laufe vorbei an Frauen, die ihre Wäsche oder Geschirr an den kleinen Wasserhähnen waschen; an Kindern, die um meine Beine herumwuseln und mir ein fröhliches Hello! zurufen; an Männern, die sich anregend unterhalten. Aus dem Augenwinkel fällt mir auf einem kleinen Vorsprung eine aus einer halbierten Plastikflasche improvisierte Vase auf, gefüllt mit den schönsten Frühlingsblumen, die zur Zeit auf jeder Wiese blühen. 

Wie nah beieinander hier Schönheit und Grauen zusammenliegen verwundert mich immer wieder.

 

Doch die vor mir liegende Aufgabe gehört zu den eher weniger schönen. Denn mein Ziel befindet sich direkt neben den zwei fast komplett abgebrannten Räumen. Es liegt auch nach 3 Tagen noch immer ein seltsamer süßlicher Geruch in der Luft, den ich kaum einordnen kann. Nichts ist von den Habseligkeiten der dort lebenden Flüchtlinge übrig geblieben, außer eine Menge Asche. Über 200 Leute haben dadurch ihre Unterkunft verloren und nun ist es unsere Aufgabe für sie wieder neue Schlafplätze zu finden, was nicht  leicht ist in dem komplett überfüllten Camp.

Besonders schwierig ist es für die zwei kongolesischen Familien etwas zu finden, da wir darauf achten, dass nur Menschen der gleichen Herkunft oder zumindest Sprache in einer Wohneinheit leben. Und da es davon im Moment keine freien für sie gibt, bleibt nur ein Zelt als einzige Möglichkeit übrig.

Ich suche in unserem Warenlager nach einem passenden, dass für 6 Personen ausreichend ist, damit die zwei Familien zusammenbleiben können, da sie nicht nur durch das traumatische Erlebnis des Feuers zusammengegangen sind, sondern schon die Bootsfahrt von der Türkei gemeinsam durchgestanden haben. Nach circa 2 Stunden steht das Zelt nun endlich, doch leider ist es im aufgebauten Zustand nun doch kleiner als gedacht und ich kann die Reaktion der Familien sehr gut nachvollziehen, die am liebsten sofort wieder umkehren wollen, da sie das Zelt nicht nur zu klein finden, sondern es sogar als Gefängnis bezeichnen.

In meinem besten Französisch versuche ich sie davon zu überzeugen, dass dies im Moment ihre beste Option sei und wir ihnen leider nichts anderes anbieten können. Nach langem Überreden geben sie letztendlich nach und akzeptieren unser Angebot ihnen zumindest noch ein zweites kleineres Zelt dazuzugeben. Doch glücklich sind sie damit nicht und ich kann ihren Ärger komplett nachvollziehen.

Während es mehr die Ehemänner waren, die mit mir diskutierten, sitzen die Frauen nur resigniert daneben. Der im neunten Monat schwangeren Babette laufen die Tränen in Strömen über die Wangen, ihre ungefähr sechsjährige Tochter schmiegt sich an sie und wischt sich verstohlen ebenso die Tränen aus den Augen. So haben sie sich ihr Leben in Europa nicht erträumt. Und ich möchte am liebsten mit ihnen weinen, ich fühle mich so hilflos und kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss hochschwanger in einem Zelt auf Holzpaletten und einer nur dünnen Isomatte zu schlafen.

 

Und plötzlich passiert es, etwas das mich vollkommen von den Socken haut.

Schon während wir das Zelt aufbauten fragten uns die zukünftigen Nachbarn, die alle aus Afghanistan kommen, ob wir wissen welche Nationalität die neue Familie haben wird. Ich druckste ein wenig herum, da sich diese beiden Länder so unterschiedlicher Kulturen nicht wirklich verstehen, es immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt und ich mir schon denke, dass sie damit nicht unbedingt einverstanden sein werden. 

 

Doch da ist sie wieder, die Schönheit buchstäblich in der Asche, wie es schon der Titel sagt. Denn plötzlich kommt eine Afghanin auf die kongolesische Frau zu, wischt ihr die Tränen von den Augen, nimmt sie in den Arm und tröstet sie. Auch wenn die beiden kein Wort miteinander wechseln können, spricht diese Tat viel lauter. Und es berührt mich zutiefst, wie die Leute in diesen harten Umständen das Mitgefühl noch nicht verlernt haben. 

 


 

Und falls ihr euch jetzt wundert, was das Bild mit dieser Geschichte zu tun hat, dann macht euch bereit für die zweite Begebenheit in der Kategorie, der positiv überraschenden Momente in Moria:

 

Ein paar Tage zuvor bin ich mit einer anderen amerikanischen Freiwilligen im sogenannten "Dschungel" unterwegs, dem Teil des Camps, der sich um das eigentliche Gelände herum in Olivenhainen befindet und mittlerweile in 7 Zonen unterteilt ist. Heute sind wir in Zone 9 unterwegs, die sich gefühlt unendlich weit erstreckt. Hier befinden sich zum Großteil selbstgebaute Strukturen, die oft von großer Kreativität und handwerklichem Geschick zeugen. Wir sind damit beauftragt jede einzelne davon abzuklappern und zu schauen, welche Familien dort leben, damit wir den Überblick darüber behalten können. 

Da wir dabei keinen Zeitstress haben, lassen wir uns von einer afghanischen Familie auf eine Tasse Tee einladen, die mindestens zu einem Fünftel mit Zucker gefüllt ist. Wir lassen uns vor ihrem Zelt auf kleinen aus Paletten gefertigten Hockern nieder und genießen den Sonnenschein. Ein Stück entfernt hören wir lautes Singen mehrer Leute, was durch enthusiastisches Trommeln untermalt wird. Ich höre genauer hin und denke mir schon, dass es sogar Lobpreislieder sein könnten. Wir sprechen die Afghanen auf die schöne Musik an und sie erzählen uns, dass sie diese jeden Tag zu hören bekommen. Als wir weiterziehen, können wir sehen woher der Gesang kommt und auch dort haut es mich um.

 

Eine Gruppe von bestimmt 30 Afrikanern hat sich zum gemeinsamen Gottesdienst versammelt, mit Plastikhockern und einer aus Paletten gebauten Kanzel, hinter der ein passionierter Prediger steht. Wir schauen begeistert zu und ich wünschte mein Französisch wäre so gut, dass ich seine Worte verstehen könnte. Doch obwohl ich das nicht kann, spüre ich dennoch wie sehr es von Gottes Gegenwart geprägt ist. Ein paar Afghanen bleiben stehen oder setzen sich sogar auf dem Boden mit dazu, auch wenn sie noch weniger verstehen als ich. Drumherum laufen ein paar afghanische Kinder, die diese Zusammenkunft wahrscheinlich nicht zum ersten Mal erleben und laut Halleluja! und Amen! rufen. 

Ich bin bewegt davon, wie die Afrikaner in diesen schweren Umständen dennoch an Gott festhalten und es begeistert mich wieder aufs Neue zu sehen, wie Gott trotz allem am Wirken ist und diese Situation nutzt um Menschen zu sich zu ziehen. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass durch das Zusammenkommen der afrikanischen Gläubigen die Herzen der umliegenden Bewohner berührt werden. Ich bewundere den Mut dieser Christen ihren Gottesdienst direkt neben einem zum Großteil von muslimischen Afghanen bewohntem Bereich abzuhalten und sich nicht irgendwo abgeschottet zu treffen. Und ich glaube, dass die Worte aus Psalm 84 auf sie zutreffen: 

 

»Glücklich sind die Menschen, die in dir ihre Stärke finden und von Herzen dir nachfolgen.

  Wenn sie das Tal der Tränen durchqueren, wird es ihnen zu einem Ort erfrischender Quellen.« Psalm 84, 6-7